Hilfe, ich werde gemobbt
Leser 134: Ich bin Ende 40, war nach meinem Studium zunächst mehr als zwanzig Jahre als Sachbearbeiter beim großen Arbeitgeber A. Nachdem dort mein Aufgabenbereich einer der üblichen Strukturreformen zum Opfer fiel, bin ich seit ca. 1,5 Jahren beim deutlich kleineren Unternehmen B in meinem vertrauten Fachgebiet wiederum als Sachbearbeiter tätig.
Ziemlich bald nach Beginn dieser Tätigkeit begann ich eine Abneigung meiner Kollegen zu spüren. Da ich mir keiner Schuld bewusst war, habe ich meine Arbeit so gut wie möglich erledigt und gehofft, die Angelegenheit würde sich im Laufe der Zeit irgendwie von selbst erledigen. Ich bemühe mich, nicht übermäßig empfindlich zu reagieren und tue so als wäre nichts. Das hat leider nichts geholfen. Im Gegenteil, die Abneigung meines beruflichen Umfeldes wird immer stärker. Inzwischen arbeitet man sogar aktiv gegen mich, es gibt ständige kleine Sticheleien ebenso wie Herabsetzung vor Dritten, verdeckte Sabotage meiner Arbeit und bewusste Missachtung meiner Person in der Gruppe. Ich muss davon ausgehen, dass die Kollegen mich loswerden wollen.
Noch habe ich nicht das offizielle Gespräch darüber mit unserem Chef gesucht. Aber ich glaube inzwischen Anzeichen dafür zu erkennen, dass auch er froh wäre, wenn ich wieder ginge.
Nur zur Erklärung der Gesamtumstände: Ich beherrsche mein Fachgebiet und leiste sehr gute Arbeit (wenn man diese nicht sabotiert). Vom alten Arbeitgeber habe ich ein sehr gutes Zeugnis, hier beim neuen hat der Chef noch keine Kritik an meiner Arbeitsausführung geübt.
Was kann ich tun, mit wem kann ich sprechen; soll ich mich offiziell beschweren – aber macht das nicht alles noch schlimmer?
Heiko Mell: Lassen Sie mich mit dem Chef anfangen: Der hatte Sie angestellt und wollte natürlich, dass sich diese seine Entscheidung als überzeugend herausstellt. Er wollte Ihren Erfolg. Aber er merkt nun, dass Sie mit dem eingespielten Team der anderen Mitarbeiter nicht harmonieren, die Kollegen werden ihm immer wieder mit Klagen oder abfälligen Bemerkungen über Sie „auf die Nerven gehen“. Er will, dass sein ihm unterstellter Bereich erfolgreich arbeitet – wie es vorher vermutlich der Fall war. Jetzt ist Sand im Getriebe, die Leistung der Abteilung sinkt. Der Chef beschäftigt sich jetzt nicht mit der Frage, wer wie viel Schuld an den „Störungen“ dort trägt; selbst wenn er Sie für völlig unschuldig hielte, sieht er ein Team von vielleicht fünf oder zehn Leuten auf der einen Seite, die er disziplinieren müsste (was einen Haufen Ärger verspricht) und einen einzelnen „Störfaktor“ auf der anderen Seite. Dieser eine sind Sie – der Chef kommt der Lösung schneller und einfacher näher, wenn es gelänge, den Störfaktor zu entfernen. Das mag ungerecht sein, entspricht aber der gängigen Praxis und passt zu Ihrer Schilderung.
Bleibt als Fazit: Der Schlüssel zur Lösung sind Sie. Die Kollegen sind ja nicht routinemäßig gegen jeden Neuen in der Abteilung, das wäre unsinnig – sie hätten ja pro Kopf auch immer mehr zu tun, wenn sie nach jedem Ausfall einzelner Mitarbeiter die jeweilige Ersatzeinstellung aus Prinzip bekämpften.
Die einzig realistische Diagnose lautet also: Sie haben etwas an sich, was die Kollegen gegen Sie aufbringt – und das müssen Sie abstellen. Diese Aussage gilt selbst dann, wenn eine neutrale Betrachtung ergäbe, Sie lägen völlig richtig, nur die Kollegen seien irgendwie merkwürdig in ihrem Verhalten oder in ihren Erwartungen.
Nur so läuft eine mögliche Lösung. Irgendwelche „Beschwerden“ Ihrerseits verstärken den Konflikt, an wenn immer Sie sich auch wenden würden. Natürlich wäre es eigentlich die Aufgabe Ihres Chefs, sich eingehend mit dem Fall zu befassen, die Ursachen zu analysieren und den Lösungsprozess zumindest zu moderieren. Aber wenn er es nun einmal nicht tut, bleibt nur die kritische Betrachtung Ihrer Person bzw. Ihres Verhaltens:
Nehmen Sie erst einmal die anderen als Maßstab. Wo weichen Sie davon ab? Es geht dabei auch um Äußerlichkeiten bis hin zu Kleidung, Hobbys oder – falls das überhaupt dort diskutiert wird – um politische Ansichten. Dann geht es um die Arbeit: Machen Sie deutlich mehr (schlimm) oder weniger (nicht so schlimm) als die anderen, gehen Sie dabei anders vor – oder nerven Sie die Kollegen mit ständigen Hinweisen darauf, wie viel besser man so etwas bei Ihrem alten Arbeitgeber gelöst hatte?
Und noch etwas: Alle Kollegen wissen schon, was Sie nun erst herausfinden müssen. Vielleicht gibt es einen halbwegs Vernünftigen darunter, den Sie privat um ein vertrauliches Gespräch bitten können. Wenn Sie den freundlich bitten und ihm versprechen, seine Aussagen nicht offiziell (z. B. gegenüber dem Chef) zu verwenden, sagt er Ihnen vielleicht, wo in den Augen der Kollegen die Ursache liegt.
Wenn Sie diese Ursache(n) herausgearbeitet haben, steht Ihre Entscheidung an: Wollen Sie sich anpassen und damit „nachgeben“ bzw. „einlenken“ oder ist Ihnen der Preis zu hoch und Sie suchen sich lieber einen neuen Arbeitgeber (wo allerdings so etwas wieder geschehen kann)?
Übrigens sind Ihre zwanzig Dienstjahre beim ersten Arbeitgeber gefährlich viele: Man bekommt eine Art „Tunnelblick“ und verliert das Gefühl dafür, wie „anders“ es in anderen Unternehmen zugehen kann.
Lesen Sie auch „Karriere-Basics“ (KB) Kapitel IV, KB 12 und 103; Kapitel V, KB 68 und 109.
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